Zwischen Flexibilität und Sicherheitsbedenken: So schneiden neue Mobilitätsangebote in der Studie der DHBW Stuttgart ab
Ob E-Scooter, Car Sharing oder Fernbusse - noch nie fluteten so viele Mobilitätsangebote wie heute die Städte. Doch wie werden diese unterschiedlichen Mobilitätsträger von den Nutzenden wahrgenommen? Dieser Frage gingen die Studierenden in einer Feldstudie mit über 2100 Probandinnen und Probanden nach. Das erstaunliche Ergebnis: Über 40 Prozent der Befragten sind die Mobilitätsträger, zu denen sie befragt wurden, unbekannt. Darüber hinaus hat ein Großteil der Befragten lediglich von den Marken und Mobilitätsangeboten gehört, diese jedoch nie selbst genutzt. Nur etwa ein Drittel der Personen sehen zukünftig eine tatsächliche Möglichkeit, moderne Mobilitätsangebote im eigenen Alltag zu nutzen und dann ist es letztlich die begrenzte Verfügbarkeit, die der Nutzung im Wege steht: So gab ein Drittel der Befragten an, sie hätten überhaupt keine Möglichkeit, die neuen Angebote zu nutzen.
Auf die Frage nach Vertrauen und Verlässlichkeit hat das klassische Car-Sharing-Angebot von stadtmobil gegenüber sogenannten Freefloatern wie SHARE NOW klar die Nase vorn; im Langstreckenverkehr schneidet FlixBus gegenüber BlaBlaCar im Aspekt der Verlässlichkeit etwas besser ab.
Doch wie kann eine positive Haltung gegenüber den unterschiedlichen Mobilitätskonzepten gestärkt werden? Prof. Dr. Marc Kuhn, Leiter der Studie und Studiengangsleiter BWL-Industrie an der DHBW Stuttgart, verweist auf ein weiteres Ergebnis: „Wir konnten nachweisen, dass die meisten Mobilitätsformen grundsätzlich von den Probanden besser beurteilt wurden, wenn sie diese bereits genutzt haben. Das bedeutet, dass die Dienstleister ihr Kundenpotential in Zukunft nur dann voll ausschöpfen können, wenn sie die Skeptiker zum Testen bewegen können.“ Gerade in Bezug auf die Usability sehen aber auch die Nutzerinnen und Nutzer Nachholbedarf: So wurde vor allem der Buchungsvorgang im Fall von Call a Bike, stella und BlaBlaCar als verbesserungsfähig wahrgenommen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Wahl des Verkehrsmittels ist das Vertrauen in die Fahrzeugsicherheit. Mehr als zwei Drittel der zu stadtmobil und SHARE NOW Befragten gaben an, sich in den Fahrzeugen sicher zu fühlen. Dies resultiert wahrscheinlich aus der Tatsache, dass sich die Nutzenden in geschlossenen Fahrzeugen, die sie selbst steuern, geschützt fühlen. Auch der Fernbusanbieter FlixBus schnitt hier überdurchschnittlich gut ab, was ebenfalls auf den geschützten Raum und professionelle Fahrer bzw. Fahrerinnen zurückzuführen sein könnte. Ein geringes Sicherheitsgefühl wird Call a Bike (35 Prozent), dem E-Roller-Anbieter stella (35 Prozent) und den E-Scootern von Lime (22 Prozent) zugeschrieben – alles Mobilitätsangebote, bei denen dieser geschützte Raum um den Nutzenden fehlt.
Da das Thema neue Mobilität stark mit dem Nachhaltigkeitsaspekt verknüpft ist, war es wichtig herauszufinden, wie die einzelnen Verkehrsträger hinsichtlich ihrer Umweltfreundlichkeit bewertet werden. Mit deutlichem Abstand wurden die Leihfahrräder von Call a Bike positiv bewertet: 90 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass sie damit umweltfreundlich ihr Ziel erreichen würden. Positiv für die Umwelt wurden zudem FlixBus (66 Prozent), stella (65 Prozent) und SHARENOW (62 Prozent) bewertet. Schlusslicht mit deutlichem Abstand ist Uber, dem nur 20 Prozent der Befragten einen positiven Wert für die Umwelt zuschreiben. SHARE NOW, stadtmobil und BlaBlaCar, bei welchen ebenfalls der Pkw als Mobilitätsträger dient, wurden diesbezüglich deutlich weniger kritisch beurteilt.
Zudem konnte festgestellt werden, dass bei den Nutzerinnen und Nutzern von stella, FlixBus und stadtmobil ein besonders hohes individuelles Umweltbewusstsein besteht. So zeigten sich 100 Prozent der stella Nutzenden bereit, ihren Konsum zu reduzieren, um die Umwelt zu schützen (gefolgt von je 81,8 Prozent der stadtmobil und Call a Bike Nutzenden).
Die interdisziplinären Teams dieser Studie haben zusätzlich noch die technische Perspektive von lime und Bike-Sharing-Anbietern in Paris und Amsterdam betrachtet. Getestet wurden u.a. Kriterien wie die Alltagstauglichkeit, Betriebsfestigkeit und die Lebensdauer. Bei den e-Scootern gab es beispielsweise große Differenzen von 2,21 m beim Bremsweg, wodurch bei einem längeren Bremsweg Sicherheitsrisiken bestehen.
Die „erste“ und „letzte“ Meile in Stuttgart lässt sich hingegen mit einem e-Scooter schneller bewältigen als zu Fuß oder mit dem ÖPNV. Die Fahrräder der Bike-Sharing-Anbieter wiesen insbesondere Unterschiede im Gesamtzustand der Bauteile auf und waren teilweise auch nicht verkehrssicher. Positiv hervorgestochen ist RegioRadStuttgart (Call a Bike) mit einem guten und sicheren Gesamteindruck der Fahrräder. Durch die gemeinsame Durchführung der Studie erhielten die Studierenden aus den Bereichen BWL und Maschinenbau wertvolle Einblicke in die Art der Untersuchungen des jeweils anderen Fachgebiets. Prof. Dr. Harald Mandel, Studiengangsleiter Maschinenbau und Leiter des Zentrums für Fahrzeugentwicklung und nachhaltige Mobilität (ZFM) der DHBW Stuttgart, zieht sein Fazit: „In diesem Studienprojekt hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, dass die jeweiligen Mobilitätsanbieter die Nutzer – sprich die Menschen – mehr in den Fokus nehmen. Neben dem Gedanken der nachhaltigen Mobilität sind dem Nutzer auch Aspekte wie Sicherheit sehr wichtig und da gibt es noch viel zu tun“.
Alle Ergebnisse der Studie werden am 25. Juni 2020 im Rahmen eines online ZEF-Forschungskolloquiums präsentiert. Auf unserer Website finden Sie weitere Informationen und die Möglichkeit zur Voranmeldung.
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Prof. Dr. Marc Kuhn
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marc.kuhn@dhbw-stuttgart.de
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